Leseprobe

 

Die Maschine aus New York war sicher und pünktlich auf dem Frankfurter Flughafen gelandet. Ellen Westhoven und ihr Mann Kurt waren froh, dass sie nach dem stundenlangen Flug endlich den Bereich der Kofferrückgabe im Flughafengebäude verlassen konnten. So sehr sie auch den Aufenthalt in den Staaten genossen, genauso glücklich waren sie nun endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Mit zwei riesigen Koffern rollten sie nun durch die große Halle und hielten Ausschau nach Ellens bester Freundin Rita, die sie abholen wollte.
  Am Gate stand ein Pulk von Menschen, die auf ihre Angehörigen warteten. Es wurde getuschelt und gerufen, dazwischen dröhnten die Durchsagen, das machte es für Ellen ziemlich schwierig ihre Freundin sofort zu finden. Dann plötzlich sah sie, wie ein Arm hochgereckt in der Menge durch ein glitzerndes Armband auffiel.  

  Ellen stieß ihren Mann an, der wie ein Leuchtturm über alle Köpfe hinweg schauen konnte. Mit seinen einmeterneunzig gehörte er zwar nicht zu den Riesen, aber zu den Hochgewachsenen, mit einer Statur, wie ein Baum. Mit seinem Dreitagebart und den welligen langen Haaren, die er meist zusammengebunden trug, sah er zwar weniger aus wie ein hartgesottener Kerl, sondern eher wie ein kuscheliger Bär.

  »Da!«, rief Ellen, »da ist Rita.« Als sie ihrer Freundin entgegen schaute wurde sie nachdenklich. Ihr Lebensgefährte Buddy stand neben ihr, der noch nie an einer Empfangszeremonie teilgenommen hatte und auch vermisste sie Ritas fröhliches Strahlen. Normalerweise bestach sie durch ihre gleichgültige Lässigkeit. Ließ sich durch nichts ihre gute Laune verderben, die heute allerdings pausieren zu schien. Im Ganzen gehörte sie zu den gestandenen Frauen, eine Rockerlady durch und durch und Buddy der rechte Mann an ihrer Seite, der Vater ihrer erwachsenen Tochter. Zu Ritas unverkennbarer Art gehörte.  Eilig wanderte Ellen auf Rita zu, ließ Kurt einfach zurück. Als sie Rita erreichte, stellte sie ihren Koffer ab und nahm sie in ihre Arme. Zwei kräftige Arme umschlungen Ellens schlanken Körper. Im Gegensatz zu ihr besaß Rita eine stabil gebaute Figur. Von der Größe her waren sie fast gleich und zählten mit ihren einmetersiebzig nicht gerade zu den kleinen Frauen.

  Ritas heftige Umarmung kam Ellen wie eine Ewigkeit vor, was sie erneut aufrüttelte und vermuten ließ, dass etwas nicht stimmte. Sie löste sich und packte ihre Freundin an den Schultern und sah sie intensiv an, während die Männer sich mit einer lässigen Geste begrüßten, in dem sie die flachen Hände gegeneinanderschlugen und sich gegenseitig auf die Schultern klopften. Auch Buddy sprühte nicht gerade vor Wieder-sehensfreude. Unter normalen Umständen wäre seine erste Frage gleich gewesen, wo sie einen trinken gehen?

  »Ist was passiert?«, erkundigte sich Ellen und als Rita stockend vor ihr stand, wusste sie, dass ihre schlimmen Vorahnungen nun Bestätigung fanden. Da Rita ihre Fassung nicht wiederzuerlangen schien, rüttelte sie ihre Freundin sanft und sprach sie an. Aber die musste erst einen dicken Kloß herunterwürgen, bis sie ihre Sprache fand.

  »Dein Bruder – Max – ist tot.«

  Bei Ellen fing alles um sie herum an zu drehen. Bei allen Vor-ahnungen übertraf diese Nachricht alles, was sie sich je hätte vorstellen können. Im Moment konnte sie nicht unterscheiden, ob sie noch unter dem langen Flug litt, oder ihre Gedanken einen Streich spielten. Sie brauchte eine Weile, bis sie etwas sagen konnte. »Wann ist…. Er…?«

  Rita war nun etwas gefasster. »Letzte Woche. Seine Sekretärin hat ihn in seinem Zimmer gefunden. Nachdem er dem Zimmermädchen nicht geöffnet hat.«

  »Wie ist er...?«

  »Herzversagen.«

  »Oh nein«, flehte Ellen und führte ihre gefalteten Hände zum Mund, hoffte, sie würde jeden Moment im Flieger aufwachen und alles erwies sich als ein böser Alptraum. Aber sie wachte nicht auf. Sie spürte bloß Kurts schweren Arm, der sich tröstend um ihre Schulter legte. Viele Gedanken kreisten in ihrem Kopf herum, die ihr keine Zeit zur Trauer ließen. Überhaupt gab es nicht viel, was sie mit ihrem Bruder verband, als dass sie große Trauer empfinden konnte. Ganz andere Dinge lasteten nun auf ihren Schultern......

 

Ihr Bruder Max hinterließ ein großes Erbe mit äußerst großer Verantwortung. Als vor 15 Jahren ihre Eltern in Rente gingen, übernahm er das Alphahotel, obwohl er in der Erb-reihenfolge als Letzter auf der Liste stand. Doch weder Ellen noch ihr älterer Bruder Rene wollten es übernehmen, also übernahm Max die Aufgabe, die er sogar gerne erfüllte, weil er der Einzige war, der sich mit dem Hotel identifizieren konnte. Für Ellen stand das immer außer Frage. Erstens, stand sie als Zweite in der Erbfolge und ihr Bruder Rene an erster Stelle, doch sein Interesse galt einem anderem Projekt, was auf sie auch zutraf......

 

  Mit leicht blockierenden Reifen, die ein wenig über die staubigen Pflastersteine rutschen, brachte Ellen den Wagen zum Stehen. Einen Moment zögerte sie bevor sie ausstieg. Die Ungewissheit, wie ihre Eltern den Verlust ihres Sohnes verarbeitet hatten und wie sie selber auf ihre Trauer reagieren würde, trieb ihr ein wenig Magenschmerzen in den Körper, doch dann ging alles sehr schnell. Sie sprang die Stufen beinahe hinauf, die zur Veranda führten und stand kurzum vor der Haustür und klingelte. Es vergingen nur Sekunden, als das Haus-mädchen öffnete.

  »Hallo Irene«, grüßte Ellen die junge Frau freundlich, die in einem altmodischen Kostüm steckte. Klischeehaft, wie aus einem Film der 50er Jahre. Einfach abscheulich. Dann streifte sie ihre Lederjacke, im Fliegerlook ab und reichte sie ihr.

  »Ihre Eltern sind auf der Terrasse«, teilte sie gleich höflich, ohne Aufforderung mit.

  Ohne Zögern schritt Ellen durch die große Empfangshalle, vorbei am großen Wohnzimmer, das hinter einer Glaswand steckte. Jeder ihrer Schritte in den harten Westernstiefeletten hallten auf dem Hochglanz Marmor. Schrecklich, durchfuhr es ihre Gedanken. Warum konnten sich ihre Eltern nicht für eine warme Auslegeware entscheiden? Schnell wanderte sie an der großen Treppe vorbei, die in die oberen Räume führte und bog scharf links dahinter ab. Sie wollte gerade Richtung Terrasse einschlagen, als ihr das große Bildnis ihres Bruders ins Auge fiel. Es stand auf einer Art Staffelei an dem ein Trauerflor hing. Abrupt stoppte sie ab, betrachtete es eindringlich. Zufrieden und in würdiger Haltung schaute ihr Bruder sie an, wirkte dabei so lebendig, als wolle er jeden Moment aus dem Rahmen steigen. Ellen seufzte beherzt und nutzte den Augenblick, ihr letztes Geleit gedanklich nachzuholen, dem sie persönlich nicht nachkommen konnte......

 

  »Fett, schwul und überheblich«, hörte sie plötzlich die verbitterte Stimme ihres Vaters. Hastig drehte sie sich nach ihm um. In ihren Gedanken tief versunken, hatte sie ihn gar nicht kommen hören, was wohl auch daran lag, dass er immer diese Schuhe mit Kreppsohle trug.

  »Du solltest nicht so über ihn urteilen«, mahnte Ellen ihren Vater.

  »Stimmt doch«, entgegnete er beharrlich, zeigte keinerlei Trauer um seinen Sohn. Langsam kam er heran, seine Blicke blieben anklagend auf das Bild gerichtet.

  Rudolf Westhovens Groll lag eigens auf der Tatsache beruhend, dass er niemals in Erwägung zog, das Hotel wieder zu übernehmen. Mit seinen 75 Jahren fühlte er sich einfach zu alt dafür. Sein hagerer Körper bot ihm auch nicht mehr die Kraft dazu. Hinzu kam, dass die Geschäfte weiter laufen mussten. Wiederum ein Grund, warum er keinerlei Trauer zeigen konnte. Für diese private Intimität bestand nun mal kein Freiraum.  

  Fassungslos schüttelte er seinen grauen, lichten Haarschopf. »Beide Söhne bevölkerungspolitische Versager«, grummelte er. Auch wenn er mit Ellens Lebensweise im Argen lag, so konnte sie zumindest ein geordnetes Familienleben vorzeigen und zwei Enkel im Mannesalter......

 

  »Warum habt ihr mich nicht angerufen?«, verlangte sie zu wissen. Auch musste sie sich über ihre Söhne wundern, dass sie von ihnen nicht informiert wurde und konnte das nur so begründen, dass ihr niemand den Urlaub für die restlichen paar Tage verderben wollte. Trotzdem ärgerte es sie.

  »Wozu? Das hätte doch nichts gebracht«, sagte Rudolf ungerührt und bestätigte damit Ellens Vermutung, »viel wichtiger ist, dass du jetzt die Geschäfte übernimmst.«

  Auf diese Forderung war Ellen gefasst. Vehement ablehnend schüttelte sie den Kopf. »Ich will den Laden nicht übernehmen.«

  »Das ist kein Laden«, fuhr er sie an, »sondern ein renommiertes Hotel, das in gute Hände gehört. Ich habe immer gewollt, dass du’s über-nimmst.«

  »Ich habe mein eigenes Leben aufgebaut. Ich kann nicht beides.«

  »Eigenes Leben«, konterte Rudolf spöttisch, »eine Pommesbude.«

  »Das ist keine Pommesbude«, wehrte sich Ellen gegen seine Be-leidigung. Sie nahm gefrustet einen Schluck und vertrieb damit ihren Ärger. Rudolfs Einstellung kannte sie ja zu genüge, da brauchte sie kein Wort mehr drüber zu verlieren. Er würde von seiner Meinung ohnehin nicht abweichen. Ihre Pension bliebe in seinen Augen immer eine Pommesbude mit Zimmervermietung, mitten im Rockermilieu.

  »Das ändert nichts an der Tatsache, dass es weiter gehen muss«, beharrte Rudolf. Für ihn unverständlich, dass keiner seiner noch verbliebenen Kindern das Hotel übernehmen wollte. Schließlich ver-hieß es Reichtum. Aber genau da lag für Ellen das Problem. In ihrer Kindheit und auch Teenagerzeit drehte sich immer alles nur um das Hotel. Sie und ihre Brüder wurden regelrecht darauf abgerichtet es irgendwann zu übernehmen, wobei das Familienleben etwas zu kurz geriet und sie auch in ein Klientel hineinwuchs, mit dem sie sich gar nicht so sehr anfreunden konnte. Eine Zeitlang passte sie sich an, doch irgendwann nabelte sie sich ab, was Rudolf ihr immer noch vorwarf. Rene kratzte diese Kurve schon vor ihr, was Max den Weg bereitete, das Hotel zu übernehmen. Er war auch der Einzige, der sich damit identifizieren konnte. Spielte als junger Mann, als sie noch alle in der Ausbildung steckten, schon gerne den Chef, aber weniger mit Herz, eher mit knallharter Diktatur, das mehr der verachtenden Firmenpolitik der gewinnorientierten Manager ähnelte.......

 

  Trotz der Unterstützung des Cognacs konnte Ellen ihren Groll nur mit Disziplin in Schach halten und versuchte nun diese Thematik von einer anderen Seite anzugehen. »Max hat doch einen zweiten Geschäftsführer ernannt. Wenn ich mich recht entsinne, hast du doch damals große Stücke auf ihn gehalten.«

  »Ha!«, konterte Rudolf spöttisch, »Volker Walkem. Ein junger Schnösel. Blasiert. Ich habe mich in ihm getäuscht. Nur weil er nach seinem Abitur bei uns die Ausbildung gemacht hat, glaubt der sich alles herausnehmen zu können. Ich trau dem Knaben nicht. Er hat seine Familie mit untergebracht.« Er stieß einen Schrei raus und schnippte mit erhobener Hand mit den Fingern. »Sein Bruder ist jetzt Hausmeister.«.....

 

  Ellen konnte nicht nachvollziehen, warum ihre Eltern so beharrlich an dem Hotel hingen und sie es unbedingt im Familienbesitz halten wollten. Spätestens nach ihrem Ableben würde Ellen ohnehin dafür sorgen, dass es verkauft wird. Bis dahin besaßen ihre Eltern nun gar keine andere Wahl, als es solange in fremde Hände zu legen und wer eignete sich dazu schon besser, als ein Mann der mit allen Geschäften betraut war? »Ist Walkems Frau nicht auch im Hotel beschäftigt?«, erkundigte sich Ellen.

  »Ja«, antwortete Rudolf übellaunig, musste aber einlenken, »sie hat mit ihm bei uns die Ausbildung gemacht. Sozusagen eine Hotelehe. Sie sitzt jetzt in Max' Vorzimmer.« Mahnend erhob er den Zeigefinger. »Das ändert nichts daran, dass er ein Schmarotzer und habgierig ist. Er hat mit veranlasst, dass Max den Hotelbedarf nur noch über diesen XXL-Markt bezieht.« Ihm schauderte es kurz, weil ihm in diesem Zusammenhang eine weitere Person in den Sinn kam, die er maßlos verabscheute. Johannes Klinker, der jetzige Bürgermeister. Durch ihn kam dieses ganze Geschäftsgebaren überhaupt zustande. Wobei er damals als Stadtratsmitglied und Architekt ordentlich absahnte und sein Bruder Reiner verdiente als Bauunternehmer an diesem Projekt mit.

  Ellen sah das etwas lockerer. »Na ja, das kannst du ihm nicht vorwerfen. Wir haben eine freie Marktwirtschaft - und ich bin sicher, es gab Gründe, warum Max dort einkaufte...«

  »Gründe?«, fuhr Rudolf ihr ins Wort, »Walkem hat ihm das ein-geredet, weil er einen Pakt mit dem XXL-Fritzen abgeschlossen hat.«.......

 

  »Hast du mit Walkem über deinen Ärger gesprochen?«

  Rudolf winkte wieder bloß ab, woraus Ellen schloss, dass er nicht mit ihm geredet hat. »Du bist der Boss, warum sagst du ihm einfach nicht, dass du das so nicht willst?«

  »Weil ich keine Lust habe, mich darum zu kümmern«, trotzte er.

  Genervt über Rudolfs Sturheit stieß Ellen Luft aus. »Hast du über-haupt mit ihm geredet?«

  Schweigend starrte Rudolf eine Weile vor sich hin. »Natürlich«, sagte er dann, »ich habe ihm vorläufig die Geschäfte übertragen.« Er sah Ellen nun fest an. »Eingeschränkt natürlich.« 

  Nachdenklich betrachtete Ellen ihr Glas, das in ihrer Hand ruhte. Volker Walkem kannte sie aus zwei kurzen Begegnungen und die Letzte lag auch schon einige Jahre zurück. Auf dem 70sten Geburtstag ihres Vaters, den er im Hotel feierte. Im großen Tagungsraum wechselte sie ein paar Worte mit ihm. Eigentlich zu wenig, um ihn wirklich zu kennen. Sie konnte ihm nicht einmal ein Gesicht zuordnen. »Okay«, sagte sie plötzlich, weil ihr ein Gedanke kam, von dem sie glaubte, ihren Vater fürs Erste beruhigen zu können. »Ich werde die Geschäfte vorübergehend übernehmen und mir den Knaben anschauen. Werde mir Einblick in die Bücher verschaffen, und wenn das alles in Ordnung ist, solltest du ihm den La…« Sie verschluckte den Rest des Wortes. »Die Prokura überlassen mit dir weiterhin als Nutznießer.«.......

 

  Ihr Vater hielt inne, grübelte. »Na schön, machen wir es so, wie du willst«, gab er nach. Auf Ellen einzureden versprach ohnehin keinen Erfolg. Soviel wusste er aus seinen Erfahrungen heraus und da war ihr freiwilliges Angebot schon die beste Alternative. So blieb ihm die Hoffnung bewahrt, dass sie es sich doch noch anders überlegte. Seine größte Hoffnung lag da auf Walkem. Wenn sie ihn genauer kennen-lernte, würde sie schon feststellen, dass das Hotel in gute Hände gehörte und nicht in den seinen........

 

Das Alphahotel mit seinem Nebentrakt, gehörte wohl zu den Reno-mmiertesten in der angrenzenden Gegend von Köln. Auf insgesamt 77 Zimmern verteilt bot das Hotel, mit Notbetten und Dreibettzimmern eingerechnet, für 250 Gästen Platz, in einer abgeschiedenen Gegend, mit viel Wander- und Ausflugsmöglichkeiten und zugleich auch zentral. Jedenfalls für die Gäste. Es gab keine Wege die zu weit waren. Ein eigener Fuhrpark sorgte dafür, dass die Gäste überall hin kutschiert wurden, wohin sie auch wollten. So konnten sie ausgiebig das Nachtleben in Köln verfolgen, ein Konzert besuchen, oder eine Fahrt ins Blaue in die Eifel genießen. Auch mit den Busunternehmen, die diese Fahrten ins Hotel anboten, bestanden bestimmte Vereinbarungen, die auf die Wünsche der Gäste abgestimmt wurden. Neben den Exklusivangeboten bot das Hotel auch für Geringverdiener gute Erholung. Dafür ließ Rudolf noch während seiner Regentschaft einen Nebentrakt errichten, in dem die Zimmer nicht so luxuriös ausgestattet waren und auch Möglichkeiten boten zur Selbstversorgung. Früher führten die Westhovens für die sozialschwachen Bürger sogar einen Campingplatz am Rande des Dörfchens, aber den ließ Max vor elf Jahren schließen. Begründen konnte er dies, dass er ohne Bauge-nehmigung den Platz nicht entsprechend den neuesten Standards umbauen lassen konnte.

  Volker schritt diesen Weg jeden Tag ab und nutzte den hinteren Eingang um seine Runde abzuschließen, wobei er neben dem Eingang die Personaltür nutzte, die direkt in den Verwaltungstrakt durch die alten Schließfächer führte, die früher den Gästen zur Verfügung standen. Doch nun diente der Raum als Personaleingang und die Schließfächer konnten vom Personal genutzt werden.

 

Als er die kleine Treppe zum Parkplatz erreichte, beobachtete er ein Motorrad, das die Zufahrt zum kleinen Parkplatz befuhr. Sofort zog er seine Schlüsselkarte hervor, öffnete das Törchen und verfolgte das Motorrad. Dieser Sache wollte er tunlichst auf den Grund gehen. Es kam schon mal vor, dass Gäste den eigentlich vorgesehenen Parkplatz nicht fanden und schon mal um-herirrten, die dann Hilfe benötigten. Normalität. Mit großen Schritten eilte Volker auf das Motorrad zu, das gerade auf Max' Parkplatz einscherte und zum Stehen kam. Eigentlich wäre dieser Platz immer frei gewesen, weil Max keinen eigenen Wagen besaß, aber der Ordnung halber sah Volker eine Notwendigkeit einzuschreiten. Der Fahrer stieg gerade ab, als Volker ihn erreichte und neben einer recht großen Maschine stand mit zwei Gepäckkoffern die links und rechts neben der hinteren Sitzbank hingen. Der Fahrer stand nun neben der Maschine und streifte seine Handschuhe ab und legte sie auf den Tank. Seiner Kleidung nach stufte Volker ihn mehr als den Freizeitfahrer ein. Lederjacke und einfache Jeans.

  »Hallo!«, sprach Volker ihn freundlich aber bestimmt an, als der Motorradfahrer sich gerade günstig nach ihm umdrehte, »Sie können hier nicht parken! Das ist nicht für Gäste!«

  Der Fahrer streifte den Helm ab, was Volker gleich etwas zurück-scheuen ließ und er mit einem erstaunten »Oh!« kommentierte. Eine Frau schaute ihn an.

  Musternd betrachtete Ellen den Mann im feinen Anzug. »Sind Sie der Parkwächter?«, erkundigte sie sich schneidig und versuchte sein Gesicht einzuordnen.

  Er zog sein Jackett würdig zurecht. »Nein, der Geschäftsführer.«......

 

  »Sollten Sie sich als Geschäftsführer nicht sinnvolleren Dingen widmen?«, züngelte sie währenddessen bissig.

  Mit einem Räuspern und einem tiefen Atemzug legte Volker zum Gegenschlag an, wobei er anstrebte höflich zu bleiben. »Wie schon gesagt«, fing er erneut an, »das ist kein Parkplatz für Gäste.«

  Um ihm eine Chance zu bieten, Erkundigung einzuholen, wer vor ihm stand, lächelte Ellen ihn provokant an und gab ihm eine weitere Möglichkeit sich heranzufragen. »Dann bin ich ja richtig. Ich bin kein Gast.«

  Sein Räuspern wurde energischer. »Keine Gäste, haben hier schon gar nichts verloren«, sagte er und versuchte nicht unhöflich zu klingen, wobei er seine Missbilligung schon mitteilte, auch erlag seine Geduld einer gewissen Erschöpfung, die mehr auf die ungewisse Zukunft des Unternehmens lag, die ihn in den letzten Tagen oft aufbrausen ließ.

  Blasiert, hallten Ellen die Worte ihres Vaters im Kopf, als er seine Meinung über Volker mitteilte. Er war nicht nur das, sondern auch ungestüm. Unbeirrt dessen steckte Ellen einen Schlüssel in einen der Seitenkoffer, öffnete ihn einen Spalt, zog eine Tasche heraus und schloss ihn wieder. Dann verstaute sie den Schlüssel in eine Jacken-tasche, schob ihren Arm durchs Visier ihres Helmes und schritt unbeeindruckt voran. Ihn, würde sie sich als erstes vornehmen und antreten lassen. Sie konnte es kaum erwarten sein verblüfftes Gesicht zu sehen, wenn sie im Büro vor ihm stand.

  »Hören Sie«, rief er ihr nach, »wenn Sie ihr Motorrad nicht weg-fahren, lasse ich es abschleppen!«

  »Ja, ja, fick dich selber.« Sie zeigte ihm durch das offene Visier, wo ihr Arm drin steckte, den Stinkefinger und murmelte noch etwas vor sich her, was Volker nicht verstehen konnte, »du wirst schon noch sehen, was du davon hast.«

 

Um sich ein Prozedere an der Lobby zu ersparen, zückte Ellen die Generalkarte hervor und nutzte den kleinen Eingang, der vom Personal benutzt wurde. So gelangte sie unbehelligt in den Gang der Verwaltung, die im Parterre lag, und betrat das Büro.

  Aufgeschreckt fuhr Katja Walkem aus ihrem Sessel hoch und blickte von ihrem Schreibtisch aus die fremde Person an, die unangemeldet und ohne Klopfen plötzlich im Vorzimmer stand und mit einem lauten »Guten Morgen« grüßte.

  »Wie kommen Sie hier rein?«, entgegnete Katja verängstigt.

  »Nu bleib mal locker Mädel«, konterte Ellen respektlos.

  Zunächst sprachlos starrte Katja Ellen an. »Wie reden Sie denn mit mir?«, empörte sie sich dann, »haben Sie einen Termin?«

 

Volker stand schon vor der Tür und wartete, um mit Katja gemeinsam einen Kaffee zu trinken, so wie jeden Tag. Nur mit dem Unterschied, dass er sich heute nicht ins Büro wagte, um seine Frau abzuholen. An Katjas Gesichtsausdruck konnte er ihre Anspannung ausmachen.

  »Da hat uns der Senior aber ganz schön kalt erwischt«, flüsterte sie Volker zu und schaute sich bedacht um.

  »Schon«, antwortete Volker mit einem Lächeln, »aber so ganz aus-sichtslos ist unsere Situation gar nicht.«

  Katja verstand nicht und so legte Volker gleich eine Erklärung nach, als sie ihn fragend anschaute. »Sie war eben bei mir und hat mir erklärt, dass sie die Geschäfte nicht übernehmen möchte, sondern will nur ein paar Dinge wieder umkehren und mir etwas auf die Finger schauen, um zu prüfen, ob sie mir bedenkenlos die Leitung überlassen kann.«

  »Da hat aber der Senior sicher ein Wort mitzureden«, warf Katja Zweifel ein.

  »Möglich«, schränkte Volker ein, »zumindest stehe ich nicht auf der Abschussliste, das ist schon mal viel wert. Wenn ich meinen Job halten könnte, wäre mir das schon genug.« Er legte ein Lächeln auf. »Wir brauchen uns nur ein wenig zu fügen und nach ihrer Pfeife tanzen.«

  »Ich fürchte, so einfach wird das nicht«, meldete sie Bedenken an, »ich habe das Gefühl, die schaut ganz genau hin.« Kontrollierend warf sie einen Blick über ihre Schulter und zog Volker etwas von der Tür weg, als vermutete sie, Ellen könnte dahinter stehen und lauschen. »Sie flößt mir Angst ein«, flüsterte sie und atmete tief durch, um sich zu beruhigen, »ich habe irgendwie das Gefühl, wir fliegen auf.«

  Behutsam nahm Volker ihr Gesicht in die Hände und küsste sie. »Bleib ruhig. Uns kann nichts nachgewiesen werden. Wenn sie etwas herauskriegt, fällt das alles auf Max.«......

 

  »Das ist gut«, lobte Ellen und erlöste Katja von ihren Qualen, aber nur kurz. Mit plötzlich erstarrter Miene, als tüftelte sie an einer Strategie herum, stellte sie die Mappe auf ihrem Schoss ab. »Stehen im Moment wichtige Termine an, oder Projekte?«, fragte sie zusammenhanglos.

  Verblüfft über Ellens Gedankenwandel, stieß Katja kaum merklich Luft aus. »Die Termine haben wir alle bis auf Weiteres abgesagt.«

  »Aber es standen welche an«, schloss Ellen aus ihrer Antwort.

  »Ja, mit Bürgermeister Klinker und Gotten vom Großhandel.«

  Bei dem Namen Klinker überkam Ellen ein Brechreiz, wobei ihr die Gesichtszüge entglitten. »Was wollte Max mit Klinker?«

  Ahnungslos zog Katja ihre Schulter hoch. »Keine Ahnung, er ist halt der Bürgermeister, den muss man bei Laune halten. Der war recht oft hier.«

  Ellen stöhnte gereizt. So sehr ihr dies auch widerstrebte, aber das gehörte nun mal zum Geschäft dazu.

  »Soll ich mit ihm einen Termin vereinbaren? Sie möchten sich doch sicher vorstellen.«

  »Nein«, entfuhr Ellen ablehnend, »das ist mir noch zu früh. Außerdem kennen wir uns von der Schule her.«

  An Ellens ablehnender Haltung merkte Katja gleich, dass sie Klinker nicht sonderlich mochte, im Gegensatz zu ihrem Bruder. »Möchten Sie Gotten treffen?«

  »Was wollte Max mit ihm?«

  »Treffen halt, wie üblich.«

  Mit etwas mehr Interesse schob Ellen ihre Brauen hoch. »Wie üblich? Wie meinen Sie das?«

  Unschlüssig zog Katja ihre Schultern hoch. »Na ja, er war halt auch sehr oft hier - manchmal mit Klinker zusammen.«

  Ellens Neugier stieg an. »Über was haben die Herren geredet?«

  Ahnungslos zog Katja wieder ihre Schultern hoch.

  Ungläubig legte Ellen ihren Kopf schief. »Kommen Sie, Ihr Mann war doch sicher dabei.«

  »Aber nur selten.«

  »Na schön«, beließ es Ellen dabei. Wenn die Herren etwas Wichtiges ausgebrütet hatten, würde sicher der ein oder andere schon freiwillig auf sie zukommen. »Unter diesen Umständen möchte ich Gotten auch noch nicht sprechen......

 

  Plötzlich wurden sie von Katja unterbrochen, die am Rahmen klopfte.

  »Herr Gotten ist hier.«

  Verunsichert griff Ellen in ihren Blazer und zog ihr Handy hervor. »Hatten wir einen Termin?«, fragte sie unterdessen.

  Katja schüttelte den Kopf. »Gotten macht keine Termine«, erklärte sie.

  Beruhigt, keinen Termin verschlafen zu haben, sagte Ellen bestimmt: »Dann soll er gefälligst warten.«

  »Er wird aber ziemlichen Ärger an der Lobby machen.«

  Mit einem Schlag lag Ellens Anflug guter Laune am Boden. »Er soll einen Termin ausmachen, meinetwegen heute Nachmittag«, trug Ellen auf, »und wenn er frech wird, rufen Sie die Polizei.« Sie atmete tief durch. »Ich bin jetzt in einer Besprechung.«

  Katja legte den Rückwärtsgang ein und gab diese Order an die Rezeption weiter. Sie musste ein Lachen verschlucken, weil sie sich jetzt Gottens verärgertes Gesicht vorstellte. So wurde er von Max nie behandelt......

 

Alfred Gotten gehörte der Liga der untersetzten Mittvierzigern an. Sein Gesicht ähnelte dem Mond, und hätte er nicht diese Stoppelfrisur, er wäre wohl auch glatt verwechselt worden. Sein ganzer Körper wirkte unproportioniert. Seine zu kurzen Arme und Beine wirkten wie an einer Kugel angesteckt. Sein dunkler Anzug verlieh ihm eine gewisse Eleganz, im Gegensatz zur Jeans, die er sonst gerne trug. Die Ver-blüffung, dass Max' Schwester nun die Geschäfte führte, wie er am Morgen erfahren musste, lag ihm nun nicht mehr so sehr im Magen. Dafür blühte seine Erstauntheit wieder auf, als er das Büro betrat und Ellen ihm entgegensah. Max' Beschreibungen nach, die ihm noch gut in Erinnerungen lagen, hatte er sich Ellen anders vorgestellt. Weniger seriös und nicht so attraktiv.

  Ellen stand sofort auf und kam um ihren Schreibtisch herum, begrüßte ihn per Handschlag. »Herr Gotten, freut mich Sie persönlich kennen-zulernen«, schmetterte sie ihm freundlich an den Kopf. Ihre Worte klangen zwar freundlich, aber nicht ehrlich gemeint.......

 

  »Herr Gotten, womit kann ich Ihnen helfen?«, richtete Ellen ihre erste Frage an ihn, als ob sie noch nicht wüsste, wo bei ihm der Schuh drückte.

  Missbilligend schaute Gotten über seine Schulter zur Tür. »Ich würde gerne ungestört mit Ihnen reden.«

  »Wir sind ungestört«, sagte Ellen um ihm zu verdeutlichen, dass sie absolutes Vertrauen in ihr Personal steckte, wenn auch noch nicht mit gänzlicher Überzeugung, aber das wollte sie Gotten nicht verraten.

  Gotten warf seinem Nebenmann einen kurzen verächtlichen Blick zu. Bei Volkers Anwesenheit brach seine Gereiztheit wieder aus. »Ach«, entgegnete er angesäuert, »Sie wissen genau warum ich hier bin. Wir haben heute Morgen auf Ihre Fleischwarenbestellungen für die kommende Woche gewartet, und als wir nachgehakt haben, erklärte man uns, dass Sie Ihre Waren nun von woanders her beziehen.«

  »Und?«, tat Ellen diese Erkenntnis als belanglos ab, »wollen Sie mir vorschreiben, woher ich meine Waren zu beziehen habe?«

  »Und?«, entfuhr Gotten, »Sie haben den Vertrag gebrochen, den ich mit Max ausgehandelt habe. Und dann besitzen Sie auch noch die Frechheit meine leitende Bäckereiangestellte abzuwerben und handeln mit ihr einen neuen Vertrag aus. Dafür kann ich Sie regresspflichtig machen.«

  Ellen ließ sich von seiner Drohung nicht aus der Ruhe bringen. »Tatsächlich?«, spielte sie die Unwissende, »in welcher Form habe ich den Vertrag denn gebrochen?«

  »Ich habe mit Max vereinbart, dass er ausschließlich bei mir kauft.«

  »So?« Ellen schlug die Mappe mit dem Vertrag auf, die sie zuvor noch hervorgeholt hatte. »Hier steht aber nichts davon.« Provokant setzte sie ihre Lesebrille auf, suchte nach einer Vertragsbedingung die sie nicht eingehalten haben soll.

  »Ach vergessen Sie doch den Vertrag«, wütete er sie an, »wir sind Ehrenmänner, dazu genügt ein Handschlag.«......

 

  »Umstrukturiert«, entgegnete Gotten sauer, »Sie kaufen die größten Posten nicht mehr bei mir. Fleisch und Backwaren«, hielt er ihr vor.

  »Ich lasse mir nicht vorschreiben, wo ich was kaufe?«

  »Damit kommen Sie nicht durch«, drohte er und zeigte auf Volker, »immerhin zahle ich Prämien, und er profitiert auch davon.«

  Sie an, durchfuhr es Ellens Gedanken. Hier wurde wohl ordentlich gemauschelt. Obwohl sie darüber lieber vorher informiert gewesen wäre, blieb sie kühl. »Mag sein, aber jetzt ist Schluss damit.«......

 

  Mit zuckenden Mundwinkeln legte Gotten eine Denkpause ein. »Na schön.« Er grinste plötzlich mit der Überzeugung eines Siegers. »Es besteht eine weitere Abmachung zwischen Max, Klinker und mir.«

  Wissbegierig schürzte Ellen ihren Mund, wobei sie Volker genau beobachtete, um eine Reaktion einzufangen, ob er darüber Bescheid wusste. Unterdessen fuhr Gotten fort.

  »Wir sind Partner in dem Vergnügungsparkprojekt, das auf der Campingwiese entstehen soll.«

  Am liebsten hätte Ellen laut losgelacht, aber sie hielt beherrscht inne und schmunzelte bloß. »Herr Gotten«, nannte sie ihn gewichtig, »die Campingwiese ist kein Bauland und sie wird auch nie eines werden. Meine Eltern versuchten das Jahrzehnte lang.«

  Mit einem überheblichen Grinsen fuhr Gotten fort. »Meine liebe Frau Westhoven«, sagte er im selbstgefälligem Ton, »da laufen bereits Anfragen. Klinker hat durch sein Bürgermeisteramt einen gewissen Einfluss erlangt in der Politwelt, so dass wir in spätestens eineinhalb Jahren damit rechnen, loslegen zu können. Und das soll ja auch nicht Ihr Schaden sein.«

  In Ellen brodelte es, aber sie blieb äußerlich ruhig, obwohl sie Max' Projekt, das er mit Klinker durchziehen wollte, kaum fassen konnte. »Klinkers Einfluss in Ehren, aber ich glaube kaum, dass die Landesregierung mitspielt. Die setzen sehr auf die Landwirtschaft.«

  »Deswegen versucht Klinker das auf die soziale Schiene zu regeln.«

  Ellens Interesse wurde gestärkt. »Wie sieht denn das soziale Projekt aus, welches Sie da vorgeben?«

  Gotten wog unschlüssig seinen Kopf. »Genaues ist noch nicht geplant. Aber es geht in Richtung Kindertagesstätte.« Er grinste hinterhältig. »Kindertagesstätte - Vergnügungspark das liegt dicht beieinander. Es wird kaum auffallen, wenn das Projekt ausgeweitet wird. Und wenn die Erschließung nun mal erteilt ist und Arbeitsplätze dadurch entstehen, wird sich das Land schon beugen.«

  Ellen grinste ebenbürtig zurück. »Davon kann man ausgehen.« Sie grübelte. »Gibt es da eine schriftliche Abmachung zwischen Ihnen und Max?«

  Gotten lachte bloß.

  Ellen wusste dieses Lachen nur allzu gut zu deuten. »Verstehe. Dazu gibt es auch nur ein Ehrenwort.«......

 

 

Sie musste dringend mit Jo Klinker über dieses Projekt reden, um ihm auch zu entlocken, ob wirklich keine vertragliche Regelung zwischen ihm und Max bestand. Von diesem Gedanken angestachelt griff sie gleich nach dem Telefon. Sie konnte kaum erwarten ihn anzurufen, und als riefe sie jeden Tag im Bürger-meisteramt an, wählte sie wenig später die Nummer, die ihr auf Anhieb einfiel, dabei lag es gut 25 Jahre zurück, dass sie des Öfteren mit dem Amt telefonieren musste. Sie betrachtete dabei den Hörer ihrer Telefon-anlage, wobei ihre Blicke kurz an dem Kabel hängen blieben. Was für eine veraltete Technik, schweiften ihre Gedanken kurz ab, konzentrierte sich dann aber schnell wieder auf ihr Gespräch, das sie führen wollte, wovon schon das Freizeichen ertönte und nach kurzem Klingeln wurde ihr Gespräch schon von einer Frau Kummer entgegen genommen.

  »Guten Tag, hier ist Westhoven«, meldete sich Ellen freundlich, »ich hätte gerne Herrn Klinker gesprochen.«

  »Tut mir leid, aber Herr Klinker ist im Gespräch, er hat außerdem viel zu tun.«

  Im Gespräch, durchfuhr es Ellens Gedanken. Dörpdorf besaß maximal 800 Einwohner, wie beschäftigt dürfte da ein Bürgermeister sein? Ellen stutzte auch ein wenig. Bei dem Namen Westhoven hätte bei der Frau etwas klingeln müssen. »Richten Sie ihm doch bitte aus, es geht um den Campingplatz, ich möchte ihn dem Land zur Verfügung stellen um Flüchtlinge aufzunehmen. Ich bin sicher, dass Herr Klinker auch schon bemüht ist und froh sein dürfte, wenn Wohnraum für Bedürftige an-geboten wird.«

  »Ich werde es ihm ausrichten«, ertönte die kühle Stimme von Frau Kummer.

  Ellen legte auf und fixierte das Telefon, wobei sie mit ihren Finger-kuppen unmittelbar daneben auf die Tischplatte klopfte. 21, 22, 23; es klingelte. Ellen schmunzelte und nahm ab. »Westhoven«, schmetterte sie in den Hörer.

  »Klinker hier.« Seine Stimme klang verunsichert.

  »Guten Tag Herr Klinker«, sagte Ellen übertrieben höflich, »freut mich von Ihnen zu hören.«

  Jo atmete ungehalten. »Sagen Sie mir erst einmal, wer Sie sind?«

  »Ellen Westhoven, die Schwester von Max.«

  Stille setzte ein, was wohl darauf beruhte, dass Ellen ihn Siezte, was sie ganz bewusst eingesetzt hatte, nach der kühlen Abweisung seiner Sekretärin, was Jo nun sehr verwirrte.

  »Ellen? Du?«, war Jo immer noch verunsichert.

  »Ja«, antwortete sie.

  Verblüfft stieß Jo einen Laut aus. »Hast du etwa die Geschäfte…« Er sprach den Satz nicht aus.

  »Ja«, lachte Ellen, »hat sich das noch nicht rundgesprochen?«

  »Nein«, antwortete er und hielt inne. Jo wusste nicht wie er weiter-verfahren sollte. Wären zunächst besser Worte des Bedauerns angesagt, wegen des schmerzlichen Verlustes, wovon er wusste, dass er ganz so schmerzlich nicht lag, oder sollte er gleich auf das Geschäftliche eingehen? Er entschied sich für eine kurze Variante. »Ist echt blöd gelaufen, mit deinem Bruder.«

  »Ja«, bestätigte Ellen, obwohl sie es mittlerweile anders sah. Schön, Max hätte nicht gerade sterben müssen.

  Da Ellen nicht feinfühlig reagierte griff Jo gleich das eigentliche Thema auf, weswegen sie ihn angerufen hatte. »Meine Sekretärin sagte, du willst den Flüchtlingen helfen.«

  »Richtig.«

  »Nun ja, das ist sehr lobenswert«, sagte er taktisch, um ihr nicht gleich seine Abneigung mitzuteilen, »nur - da läuft allerdings noch eine andere Sache - die ich mit Max vereinbart habe.«

  »Ja, das ist mir bekannt«, fuhr ihm Ellen ebenso taktisch ins Wort und legte gleich zum Schlichten auf, »Gotten war eben bei mir. Das hat mich auf eine Idee gebracht, um das Ganze zu beschleunigen«, erklärte sie ihm.

  Interessiert horchte Jo auf. »Wie?«

  »Nun ja, wir benutzen die Flüchtlingsproblematik und nutzen sie als sozialen Aufhänger und tun so, als wollten wir ein Auffanglager errichten mit festen Wohneinheiten, damit könntest du beim Land sogar Eindruck mit deinem sozialen Engagement schinden.«

  Jo schwieg einen Moment und ließ ein leises »Jaa« ertönen, was seine Erleuchtung preisgab. »Das ist gut«, stimmte er Ellen zu.

 

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